Im Strudel

Eine Umweltgeschichte der modernen Welt

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783593513157
Sprache: Deutsch
Seiten: 838 S.
Format (H/B/T): 6 x 23.4 x 16.5 cm
Auflage: 1. Auflage 2020
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Vor 500 Jahren war der Eukalyptus ein in Australien heimischer Baum, der Dodo lebte friedlich auf einer Insel im indischen Ozean und Holz war das wichtigste Brennmaterial. Heute gibt es rund um den Globus Eukalyptusplantagen, der Dodo ist ausgestorben und die Welt verbraucht jeden Tag 95 Millionen Barrel Erdöl. Menschen und Materialien sind in nie gekanntem Umfang in Bewegung, die ökologischen Folgen unseres Lebensstils sind Schlüsselthemen der Weltpolitik. Doch nur wenigen Menschen ist klar, in welchem Ausmaß unser Reden und Handeln über Umweltfragen von der Vergangenheit geprägt ist. Die Krise der Gegenwart - Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben - versteht man aber erst dann wirklich, wenn man sie als Ergebnis einer langen, wechselvollen Geschichte begreift. Frank Uekötter verfolgt in dieser Umweltgeschichte der Moderne, wie sich ökologische Verwerfungen und Konflikte im Laufe der Jahrhunderte entwickelten. Er zeigt zudem die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren hinter den weltweiten Weichenstellungen auf, die von den reichen Gesellschaften des Westens geprägt wurden.

Autorenportrait

Frank Uekötter ist Professor für Geschichte und geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in Großbritannien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Technik- und Umweltgeschichte, die Geschichte der modernen Wissenschaften und die Agrargeschichte. Bei Campus erschien 2011 sein Buch 'Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert'.

Leseprobe

Prolog: Eine neue Geschichte für ein junges Jahrhundert Geschichtsschreibung spiegelt stets die Erfahrungen ihrer Zeit, und Synthesen werden in besonderem Maße vom Strom der Ereignisse beeinflusst. Zu den Erfahrungen, die das vorliegende Buch geprägt haben, gehört zum Ersten ein Bündel von Entwicklungen, das heute üblicherweise als Globalisierung bezeichnet wird. Ein welthistorisches Projekt bedarf keiner langen Begründung in einer Zeit, in der die Welt intensiver und auf ganz unterschiedliche Weisen vernetzt ist als je zuvor. Glücklicherweise gab es in den vergangenen 20 Jahren auch einen Boom einschlägiger Forschungen und besonders einen Aufschwung wissenschaftlicher Studien, die sich mit Umweltproblemen jenseits der westlichen Welt beschäftigen. Die Zeiten sind vorbei, in denen eine Weltgeschichte von Europa oder Nordamerika ausgehen musste, weil der Stand der Forschung nichts anderes erlaubte. Zum Zweiten haben wir in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, dass der Zustand unseres Planeten Anlass zu großer Sorge gibt. Es fehlt nicht an Erfolgen bei bestimmten Themen und an bestimmten Orten, aber die Gesamttendenz im Wechselspiel zwischen den Menschen und ihren natürlichen Umwelten ist offenkundig negativ. Anthropogener Klimawandel, Verlust biologischer Vielfalt, Verschmutzung, Ressourcenprobleme - wir kennen den ökologischen Preis der globalen Modernität in großer Detailfülle und mit mehr Gewissheit als jemals zuvor. Wir wissen auch, dass sich die Probleme auf absehbare Zeit nicht von selbst lösen werden. Jeder weiß, dass ökologische Herausforderungen zu den Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts gehören. Keiner dieser beiden Aspekte ist grundsätzlich neu. Das Gewicht der ökologischen Krise und die globale Vernetzung der Probleme haben Umwelthistoriker seit den 1970er Jahren beschäftigt und angetrieben. Sie haben auch in Joachim Radkaus Natur und Macht und John McNeills Something New under the Sun ihren Niederschlag gefunden, den beiden großen Weltumweltgeschichten, die passenderweise im Jahr 2000 zum Beginn eines neuen Jahrtausends erschienen. Ich bin dieser Tradition zu großem Dank verpflichtet - zweifellos mehr, als die Fußnoten dokumentieren -, aber dieses Buch geht noch von einer dritten Erfahrung aus, die einen Bruch mit einem wesentlichen Teil der bisherigen Forschung markiert. Ökologische Herausforderungen sehen im 21. Jahrhundert anders aus als die Probleme, über die frühere Generationen von Forschern und Aktivisten schrieben. Als sich die heutige Umweltbewegung in den 1970er Jahren konstituierte und Wissenschaftler sich neu orientierten (darunter mit professionstypischer Verspätung auch die Historiker), standen meist die unbeabsichtigten Folgen des technisch-industriellen Fortschritts im Mittelpunkt. Das muss man den Zeitgenossen nicht rückblickend zum Vorwurf machen. Ich habe selbst in den 1990er Jahren meine Doktorarbeit über ein solches Folgeproblem - die Luftverschmutzung in deutschen und amerikanischen Städten - geschrieben. Aber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte und speziell der Art und Weise, wie sich klassische Umweltprobleme mit Ernährungs- und Ressourcenkrisen verquickt haben, scheint es geboten, ökologische Themen als Teil des Gesamtprozesses der Ressourcenallokation in seiner ganzen Komplexität zu diskutieren. Das ist kein ganz neuer Gedanke. Es ist eine Rückkehr zu einem breiteren Verständnis von Umweltgeschichte, das sich in umwelthistorischen Darstellungen avant la lettre wie etwa Fernand Braudels Werk über das Mittelmeer und die mediterrane Welt zur Zeit Philipps II. niedergeschlagen hat, in dem Braudel im weiten Ausgriff auch die natürliche Umwelt in den Blick nahm. In diesem Buch geht es um viel mehr als um Nebenfolgen. Es geht um das Leben und Überleben auf einem kleinen und ziemlich komplizierten Planeten. Ökologische Herausforderungen sind im neuen Jahrtausend nicht nur größer, sondern auch schwerer zu verstehen als in früheren Zeiten. Akteure, Nationalstaaten, Prioritäten, sogar die Definition von Problemen - Kategorien, die vor einer Generation noch selbstverständlich waren, sind heute unscharf und Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es gibt im globalen 21. Jahrhundert augenscheinlich keinen Weg zurück zu einem gemeinsamen Verständnis ökologischer Herausforderungen. Mehr noch: Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass die Vorstellung eines weltumspannenden Konsenses stets mehr Wunsch als Realität war - und dass sich dahinter eine kulturelle Hegemonie des Westens verbarg, die inzwischen unwiederbringlich der Vergangenheit angehört. In einem globalen Zeitalter müssen wir eine Umweltgeschichte der modernen Welt gleichermaßen vom Standpunkt des industrialisierten Westens und des Globalen Südens schreiben, des Politikers und des Konsumenten, des Experten und des Laien, des Stadtbewohners und des Landwirts und so weiter. All dies bedeutet, dass eine Umweltgeschichte der modernen Welt im 21. Jahrhundert sowohl dringlicher wie auch komplizierter ist als je zuvor. Manche Autoren haben - nicht zuletzt unter dem Einfluss der Anthropozän-These - den Versuch unternommen, diese Komplexität unter Rückgriff auf die vermeintlich unerschütterlichen Ergebnisse der Naturwissenschaften zu umgehen und Kategorien einfach zu setzen, aber ein solches Unterfangen ist letztlich zum Scheitern verurteilt: Es gibt in unserer Zeit keinen archimedischen Punkt mehr. Dieses Buch verfolgt deshalb einen anderen Weg, indem es die Komplexität selbst zum Gegenstand der historischen Analyse erhebt. Es verfolgt, wie sich Ambivalenzen, Verwerfungen und Konflikte im Laufe der Zeit entwickelten und wie diese jeweils in materiellen Interessen, Artefakten, Machtbeziehungen, Institutionen und kulturellen Topoi verankert waren. Komplexität fiel nicht einfach vom Himmel. Sie entstand in konkreten Zusammenhängen mit realen Menschen auf eine Weise, die man historisch und vielleicht auch nur historisch verstehen kann. Eine solche Geschichte bietet mehr Überraschungen und auch mehr Irritationen als vergleichbare Darstellungen, aber sie hat nicht nur historiographische Meriten. Wir gewinnen auf diesem Weg auch einen neuen Blick auf die ökologische Debatte der Gegenwart. Wenigen Menschen ist klar, in welchem Ausmaß unser Reden und Handeln über Umweltfragen von der Vergangenheit geprägt ist: Was auf den ersten Blick ein geschichtsfreier Raum zu sein scheint, in dem sich Politiker und Naturwissenschaftler nach Lust und Laune austoben können, ist in Wirklichkeit ein Feld voller historischer Traditionen, die vor allem deshalb wirkmächtig sind, weil sie nur selten als solche erkannt werden. Dabei ist von vornherein zu betonen, dass die Vielfalt der Sichtweisen nicht auf ein postmodernes anything goes hinausläuft. Tatsächlich läuft es auf das genaue Gegenteil hinaus. In einem Zeitalter, in dem sich ganz verschiedene, zum Teil jahrhundertealte Traditionen zu einem globalen Netz versponnen haben, das fest in Technologien, Materialitäten, politischen Entscheidungen und kulturellen Deutungsmustern verwurzelt ist, gibt es nicht mehr viele Dinge, die einfach 'gehen'. Die methodischen Prämissen dieses Buches werden in einem historiographischen Nachwort vertieft, das den Freunden der Geschichtstheorie eine Menge Futter bieten wird. Hier mag die Feststellung genügen, dass es sich um eine neue Art von Geschichtsschreibung handelt, in dem sich Menschen und andere historische Akteure in einem mächtigen Strom der Geschichte wiederfinden - genauer gesagt einem Strudel -, der gängige Vorstellungen von Kausalität und Handlungsmacht fraglich werden lässt. In diesem Buch ist die Umweltgeschichte moderner Gesellschaften auch ein Prozess, in dem Menschen immer wieder an Grenzen gerieten: materiell, technisch, institutionell, kulturell. Wenn man die Moderne als gigantischen Strudel versteht, der gleichermaßen Menschen, Massen, Technologien und Umwelten umfasst, entsteht eine neue, dynamische Form der Geschichtsschreibung, vor allem dann, wenn man diesen Strude...

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