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Wer kriegt die Kurve?

eBook - Zeitenwende in der Autoindustrie

Erschienen am 08.09.2016, Auflage: 1/2016
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593434612
Sprache: Deutsch
Umfang: 272 S., 5.50 MB
E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Mit diesem Buch erhalten Sie das E-Book inklusive!"Ferdinand Dudenhöffer weiß vermutlich mehr über die Autoindustrie als sonst ein Mensch auf der Welt." Die ZeitDie Autobranche betritt eine völlig neue Welt: die von Apple, Google und anderen IT-Unternehmen. Das Auto fährt in Zukunft elektrisch, es wird intelligent und nutzt die Datenströme des Internets.- Sind die heute großen Autobauer gerüstet, um ihre führende Rolle in Zukunft zu behaupten?- Wird der Autoindustrie ihr Größenwahn - siehe Abgasskandal - zum Verhängnis?- Wie sehen die zukunftsweisenden Geschäftsmodelle aus?- Welche gesellschaftlichen, rechtlichen und ethischen Fragen sind zu klären?Ferdinand Dudenhöffer zeigt, wie die Automobilwirtschaft die Kurve bekommt und wer die Zukunft der Mobilität für sich entscheidet. Eine Branche bewegt die Gesellschaft, Deutschlands "Autopapst" (Handelsblatt) hat das Buch dazu geschrieben.

Autorenportrait

Professor Dr. Ferdinand Dudenhöffer ist Direktor des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen sowie Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Er gilt als "Autopapst" und "PS-Professor" und ist der bekannteste und meistzitierte Autoexperte Deutschlands."Wer kriegt die Kurve? Zeitenwende in der Autoindustrie" erscheint auch in Korea und China.

Leseprobe

Vorwort
Seit 130 Jahren bewegen wir uns "motorisiert". Dabei erfinden sich das Auto und seine Branche ständig neu. Seit Carl Benz und Gottfried Daimler hat die Automobil- und Zulieferindustrie bis zum heutigen Tage in großen Metamorphosen immer wieder unter Beweis gestellt, wie innovativ und anpassungsfähig ihr System der individuellen Mobilität ist. Länder mit niedriger Motorisierung liegen in ihrem Wohlstand weit hinten abgeschlagen, wie etwa die Staaten Zentralafrikas. Der Aufstieg Chinas zu einer neuen Weltmacht ist ebenso mit dem Auto verknüpft, wie es der Aufstieg der USA war. Gesellschaftliche Veränderungen werden vom und mit dem Auto begleitet.
Künstler wie HA Schult beschäftigen sich in ihrem Schaffen genauso mit dem Auto wie Filmemacher, Philosophen und Schriftsteller. "Das Auto ist das technische Zentralobjekt der Moderne", hat es der Philosoph Peter Sloterdijk auf den Punkt gebracht. Um den "Fetisch Auto" zu verstehen, schuf HA Schult sein Flügelauto, das Kunstwerk Frozen Time und im Jahre 1970 die Aktion 20?000 Kilometer. "Das Auto gab uns Freiheit wie kein Ding je zuvor und Unfreiheit gleichermaßen. Wir sind alle Autos", fasste HA Schult seine Erfahrungen und Einsichten in Peter Weibels Ausstellungswerk Car Culture des Karlsruher ZKM im Jahr 2011 zusammen. Der Verhüllungskünstler Christo befasste sich mit dem "Wrapped Automobile", einem 1959er Studebaker, und einem VW-Beetle in "Wrapped Volkswagen", um unsere Fantasien zum Objekt Auto und seine Geheimnisse einzufangen. Wie das Auto zur Geißel werden kann, wenn es eine Gesellschaft zu stark dominiert, wird in dem Experimentalfilm "Weekend" aus dem Jahr 1967 des französischen Regisseurs Jean-Luc Godard spürbar.
Das Auto ist ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft und damit kontrovers. In zwei großen Wellen haben sich das Auto und seine Branche in den vergangenen hundert Jahren grundlegend gewandelt: Mit der Einführung der Fließbandfertigung durch Henry Ford im Januar 1914 wurden das erschwingliche Auto und damit die Massenmotorisierung erst möglich. Mit der japanischen Revolution der "Lean Production", also der schlanken Prozesse, in den Achtziger- und Neunzigerjahren zog das Denken in komplexen Wertschöpfungsketten und Qualitätsprozessen in unsere Industrie ein. Derzeit stehen wir mitten in der dritten großen Welle: Gleich drei große naturwissenschaftliche und technische Erkenntnisfortschritte sind die Auslöser:
Erstens: die Antriebsintelligenz - unsere Autos können ohne Abgase fahren. Neue Energiespeicher wie Lithium-Ionen-Batterien ermöglichen diesen Fortschritt. Zweitens: die künstliche Intelligenz der Maschinen - wir marschieren schnurstracks ins Zeitalter des autonom fahrenden Autos. Roboter ersetzen bereits in Pilotprojekten den Autofahrer. Drittens: die Schwarmintelligenz - unser Auto wird stärker gemeinschaftlich genutzt werden können. Sharing Economy ist das Schlüsselwort, das den gesellschaftlichen Wert des Autos steigert und gleichzeitig öffentliche Verkehrsträger wie den unbeweglichen Koloss der Deutschen Bahn entwertet.
So wie es derzeit aussieht, wird die dritte Welle die revolutionärste werden. Große radikale Veränderungen bezeichnete der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter zu Beginn des 20. Jahrhunderts als "schöpferische Zerstörung", die gnadenlos alte Strukturen verdrängt und schließlich zerstört. Nur durch Zerstörung kann Neuordnung stattfinden, so Schumpeter. Der Harvard-Ökonom und frühere Unternehmensberater Clayton Christensen beschrieb diese Übergänge als "Disruptive Innovations", als Innovationen, die Erschütterungen und völlige Umgestaltungen von Branchen mit sich bringen. Die Chefin von General Motors, einem der größten Autohersteller der Welt, Mary Barra, drückte es in einer Rede beim 16. CAR Symposium meiner Universität so aus: "Die Automobilindustrie wird sich in den nächsten fünf Jahren stärker verändern als in den 50 Jahren davor."
Hinzu kommt, dass die Branche noch einige traditionelle Hausaufgaben zu erledigen hat. Dazu gehören die Bewältigung der immer größer werdenden Rückrufwellen und eine Neuorientierung bei der Verlässlichkeit und Qualität der Autos, die Neuordnung des Vertriebs und die Realisierung des "Billigautos". Zusätzlich stellen sich Fragen nach der Aufrichtigkeit und Kultur wichtiger Unternehmen. Der VW-Dieselskandal, die Betrügereien der japanischen Autobauer Mitsubishi und Suzuki bei den jahrelang falschen Verbrauchsangaben der Fahrzeuge und die berüchtigt gewordenen Thermofenster bei der Abgasreinigung von Dieselmotoren zeigen: Es sind noch einige Hausaufgaben von gestern liegen geblieben, die gleichzeitig mit dem großen Wandel angegangen werden müssen.
Mit diesem Buch wollen wir diskutieren, in welche Richtung sich Geschäftsmodell, Denken und Strategie der traditionellen Autohersteller und Zulieferer verändern müssen, um nicht von den neuen Anbietern der Internetindustrie, mächtigen und schnellen Unternehmen wie Apple, Alibaba, Baidu, Google, Tesla oder Uber "überrollt" zu werden. Was muss getan werden, um bei der Zeitenwende der Automobilindustrie zu den Gewinnern zu gehören? Dies gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Staaten. Deutschland wird oft als Autonation bezeichnet und der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder kokettierte gerne als Autokanzler. Werden wir Autonation bleiben? Oder wird Deutschland eher auf der Verliererseite der disruptiven Veränderungen stehen?
1.Modelle, Märkte, Wettbewerber: Autoindustrie heute
Es begann vor 130 Jahren: Mit seinem "Patent-Motorwagen Nummer 1" läutete Carl Benz das Zeitalter des Autos ein. Oft wurde das Auto in der Vergangenheit schon als zukunftslos eingestuft: Etwa im November 1973, nach den bundesweiten Fahrverboten und autofreien Sonntagen infolge der Ölkrise, oder Anfang der Achtzigerjahre, als das Waldsterben im Mittelpunkt der Diskussionen stand. Als Reaktion darauf wurden der Katalysator und bleifreies Benzin in Deutschland eingeführt. Kritiker um das Auto gab es viele. Autobahnen und Blechlawinen zerstörten Landschaften und Städte, betonten Umweltverbände. Der Mensch sei nicht fürs Autofahren gebaut, das Auto setze Aggressionen frei, argumentierten Psychologen. Trauriger Negativrekord: Im Jahr 1970 waren 599?364 Verunglückte und 21?332 Verkehrstote in Deutschland zu beklagen. Aber bislang konnten weder Ölkrisen noch andere Ereignisse das Auto aufhalten, auch weil es sich immer wieder anpasste und viele Kritikpunkte mit Innovationen entkräftete. Eine besonders berühmte unter den zahlreichen Fehlprognosen gab ausgerechnet Gottlieb Daimler persönlich ab, der davon überzeugt war, dass "die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen eine Million nicht überschreiten wird - allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren". Alle Einschätzungen haben sich als falsch herausgestellt. Bis heute. Wie ist die Branche aktuell aufgestellt, und wird sie damit den Herausforderungen einer neuerlichen Zeitenwende begegnen können?
Individuelle Mobilität: Warum werden Autos verkauft?
Zu Beginn des Jahres 2015 waren weltweit 1,02 Milliarden Personenkraftwagen (Pkw) registriert. Allein auf Europas Straßen fährt ein Viertel davon, nämlich 250 Millionen Pkw, in Deutschland sind offiziell 45 Millionen zugelassen. Wer hierzulande mit einem Verkehrsmittel unterwegs ist, der nutzt in knapp 85 Prozent der Fälle das Auto. Konkret haben wir Deutschen im Jahr 2014 rund 929 Milliarden Kilometer mit dem Auto zurückgelegt. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Entfernung zwischen Erde und Mond beträgt etwa 385?000 Kilometer. Alle in Deutschland lebenden Menschen fahren also zusammengenommen jedes Jahr mit Autos etwa genauso weit wie 1,2 Millionen Mal von hier bis zum Mond und wieder zurück!
Diese wenigen Zahlen, so ungeheuer und unvorstellbar sie sind, zeigen sehr deutlich die Bedeutung des Autos für unsere Gesellschaft. Ohne Auto funktioniert Deutschland nicht. Aber auch Europa nicht, und erst recht nicht die USA. Die Transportmittel des öffentlichen Personenverkehrs - Bahnen, Busse, Flugzeuge - machen zusammen nicht einmal ein Sechstel unserer Personenverkehrsleistungen aus. Zudem sind Auto, Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung eng miteinander verknüpft. Das zeigt etwa ein Vergleich mit den wirtschaftlich schwächeren Regionen der Erde. In Deutschland beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 47?000 US-Dollar, in den ärmsten Staaten Afrikas, wie etwa Somalia, Burundi, Gambia oder Niger ist es gerade einmal ein Dreißigstel davon oder sogar noch weniger. Das kleine Malawi in Südostafrika erwirtschaftet pro Einwohner und Jahr gut 200 US-Dollar.
Afrikas Bevölkerung von rund einer Milliarde Einwohner besitzt zusammen etwas mehr als 25 Millionen Pkw. Auf 1?000 Afrikaner kommen also weniger als 40 Pkw. In Deutschland besitzt dagegen mehr als jeder zweite ein Auto, und zwar einschließlich der neugeborenen Babys und 95-jährigen Omas. In USA und Kanada sind es im Durchschnitt sogar 790 Pkw und Pick-ups auf 1?000 Einwohner. Die Amerikaner lieben SUV (Sport Utility Vehicles, die auch hierzulande immer beliebteren "sportlichen Geländewagen"), Großraumlimousinen (Vans) und Pick-ups. Diese drei Fahrzeugarten werden dort als Light Vehicles bezeichnet und machen fast 60 Prozent des US-Automarktes aus.
Die Mobilität der Menschen mit dem Auto, Motorroller oder Fahrrad, also die individuelle Mobilität, ist eine Art Grundvoraussetzung zur Entwicklung moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften. Ohne individuelle Mobilität ist kein Wirtschaftswachstum möglich. Wohlstand ohne Auto ist in unserer Welt der Gegenwart schlicht und ergreifend ausgeschlossen. Das Auto hat also eine weitaus bedeutendere Funktion in unserer Gesellschaft, als es die schönen TV-Spots und die teuren Hochglanzmodelle suggerieren. Zwar prägen in der Regel die Premiumhersteller unsere Wahrnehmung: Denken wir an Auto, dann denken wir "Porsche", "BMW", "Mercedes", wir denken an Audi, Volvo oder Mini. Doch nur jeder neunte weltweit verkaufte Neuwagen stammt von einem dieser Hersteller. Im Jahr 2015 waren unter den 78,3 Millionen weltweit verkauften Pkw knapp 8,5 Millionen Fahrzeuge von Premiummarken. Es sind die Neuwagen der Marken Toyota, VW, Ford, Chevrolet, Nissan, Hyundai, Renault, Opel, Peugeot, Fiat, Honda, ¦koda oder Dacia, mit denen sich die Menschen in der Welt bewegen. Auto ist Massenmotorisierung und Massenmobilität. Mobilität in unseren modernen, weit entwickelten Staaten ist ohne Auto nicht oder nur zu weitaus höheren Kosten möglich.
Das zeigt sich etwa sehr deutlich an den Veränderungen in China in den letzten zwei Jahrzehnten. Die großen wirtschaftlichen Erfolge der Volksrepublik spiegeln sich eins zu eins im chinesischen Automarkt wider. Im Jahr 1995 wurden in China 411?000 neue Autos verkauft, weniger als die durchschnittlichen jährlichen Neuwagenverkäufe in den Niederlanden. Bis zum Jahr 2005 kletterte die Verkaufszahl in China auf 3,2 Millionen Neuwagen. Das entspricht etwa dem deutschen Automarkt. Und noch einmal zehn Jahre später hatten die Chinesen die Verkaufsgrenze von 20 Millionen Neuwagen geknackt. Die USA als ehemals größten Neuwagenmarkt verwies China sogar schon sechs Jahre zuvor auf den zweiten Platz. China ist also in zwanzig Jahren von einem Automarkt vergleichbar dem in den Niederlanden zum mit Abstand größten Automarkt der Welt gewachsen.
Ohne die Motorisierung wäre die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht möglich gewesen. Dabei kämpfen nicht nur Chinas Großstädte mit Staus, Verkehrslärm und Autoabgasen. Die wirtschaftliche Entwicklung wandert inzwischen immer stärker von den Megacities wie Peking, Shanghai oder Chongqing mit deutlich mehr als zehn Millionen Einwohnern in die Regionen und Provinzen des Riesenreichs. In der Mongolei ist der Dacia ein Luxusprodukt, das sich nur wenige leisten können. In Shanghai dagegen sind Porsche oder Jaguar stärker im Straßenbild vertreten als in London oder Berlin. Deshalb kämpft die chinesische Staatsregierung angesichts der sich anbahnenden Veränderungen in der Autoindustrie an zwei Fronten. Sie braucht die erschwingliche Mobilität für die Entwicklung der Provinzen und sie braucht das emissionslose, automatisierte und vernetzte Auto in den Millionenstädten. Das Beispiel China zeigt, welch gewaltige politische Dimension das Auto und seine Entwicklung für unsere Gesellschaft haben.
Wir brauchen das Auto - auch und gerade in Zukunft. Wie sehr der Individualverkehr unsere Mobilität bestimmen wird, das hängt allerdings stark von seiner Qualität ab. Die großen Engpässe dabei sind Parkraum, Staus, Unfälle, Lärm und Abgase. Tatsächlich existieren für all diese Probleme bereits Lösungen, und zwar keine Zukunftsutopien, die erst in fünfzig Jahren umgesetzt werden, sondern konkrete Entwicklungen, die wir Stück für Stück in den nächsten zehn Jahren sehen und erleben werden. Das "System Auto" wird sich grundlegend verbessern und zu einem wichtigen Bestandteil eines integrierten Verkehrssystems werden: Das Auto der Zukunft wird nicht mehr isoliertes Fortbewegungsmittel sein, sondern Teil einer in sich vernetzten Mobilitätswelt.
Dank Elektromobilität werden wir Abgase und Lärm erheblich reduzieren. Mit neuen Datenverknüpfungen können etwa durch geschickte Nutzung wie zum Beispiel mit Carsharing-Systemen Kosten erheblich gesenkt und gleichzeitig die Menge der Fahrzeuge in Metropolen - und damit der Parkraum - deutlich effizienter genutzt werden. Und schließlich wird uns die Technik des selbstfahrenden Autos ermöglichen, die durch den Faktor Mensch entstehenden Fehler beim Autofahren zu verringern und damit die Sicherheit wesentlich zu steigern. "Vision Zero", das Ziel der völligen Verkehrssicherheit ganz ohne Verkehrstote und Schwerverletzte, rückt erstmals in greifbare Nähe. Wir werden diese bahnbrechenden Veränderungen mit ihren Versprechen und ihren Risiken in den folgenden Kapiteln näher betrachten.
Mit dem "neuen" Auto - dem vernetzten, dem abgaslosen, dem noch sicheren - wird unsere Mobilität einen deutlichen Schub erhalten. Schienengebundene, zentralistische Verkehrsträger wie etwa die Deutsche Bahn werden es dagegen in Zukunft noch schwerer haben - besonders, wenn sie solch gravierende Altlasten mit sich herumtragen, die verhindern, dass Strukturen und Strategien rechtzeitig auf die Zukunft eingestellt werden.
Es gibt also zahlreiche gute Gründe dafür, anzunehmen, dass die Zahl der verkauften Autos in Zukunft sogar höher liegen wird als in der Vergangenheit. Ebenso ist es wahrscheinlicher, dass das Auto in Zukunft einen noch größeren Teil unserer persönlichen Mobilität ausmacht, als dass es an Bedeutung verlieren wird. Gottfried Daimler lag mit seiner Prognose falsch, weil er die Innovationskraft des Systems Auto unterschätzte. Die individuelle Beweglichkeit, zusammen mit der Digitalisierung unserer Welt, wird es dem System Auto ermöglichen, Marktanteile weiter auszubauen und sich in ein Mobilitätsnetz zu integrieren.
Schwellenländer: Wo werden heute und in Zukunft Autos verkauft?
Wie wird also der Weltautomarkt langfristig aussehen? Dazu will ich kurz mithilfe der Abbildung 1 "Entwicklungsmuster Automärkte" das Standardprognosemodell zur langfristigen Analyse der Automärkte exemplarisch erläutern. Die Grundprämissen sind einfach: Je höher das Pro-Kopf-Einkommen in einem Land, umso eher erhalten die Menschen die Möglichkeit, sich ein Auto leisten zu können. Das Pro-Kopf-Einkommen ist in der Abbildung entlang der x-Achse eingezeichnet.

Abb. 1: Entwicklungsmuster Automärkte
Je mehr Menschen sich ein Auto kaufen, umso stärker wachsen der Fahrzeugbestand und damit die Anzahl der Pkw pro 1?000 Einwohner eines Landes. Diese Kenngröße wird auch als Pkw-Dichte bezeichnet. Sie ist auf der y-Achse eingezeichnet. Die Kreise bezeichnen die einzelnen Länder, ihre Größe steht in Relation zur Einwohnerzahl. Steigt das Pro-Kopf-Einkommen, so wissen wir aus der Erfahrung der Vergangenheit, dass sich die Motorisierung überproportional zum Einkommenszuwachs entwickelt (Phase 1 und 2 im Schaubild). Ab einer bestimmten Pkw-Dichte - etwa 400 Autos pro 1?000 Einwohner - verlangsamt sich das Tempo der Motorisierung. Der Automarkt geht in eine Sättigungsphase (Phase 3 und 4) über. Der Automarkt besteht jetzt überwiegend aus Ersatzbedarf, sprich alte Fahrzeuge werden durch neue ersetzt.
Die gestrichelt eingezeichnete Kurve bildet diesen in der Realität immer wieder zu beobachtenden Verlauf ab. Sie ist so etwas wie ein Motorisierungskanal, entlang dessen sich der Fahrzeugbestand, also alle angemeldeten Autos auf den Straßen eines Landes, entwickelt. Die Kurve selbst kann als die Kombination zweier Exponentialfunktionen interpretiert werden. In den Phasen 1 und 2 ist sie die übliche bekannte Exponentialfunktion und in den Phasen 3 und 4 eine "gedrehte" Exponentialfunktion. Die zusammengesetzte Kurve wird auch als logistische Funktion bezeichnet. Mit logistischen Funktionen lassen sich einfache Wachstumsprozesse gut beschreiben. Zum Beispiel das Wachstum von Bakterien in einem geschlossenen Glas. Die Bakterien vermehren sich zunächst exponentiell, das heißt, ihre Zahl verdoppelt sich immer wieder innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Dies geschieht so lange, bis der Lebensraum dafür zu eng wird, ab dieser Grenze sinkt die Wachstumsrate. Schauen wir uns China in der Abbildung an: China hat im Landesdurchschnitt eine niedrige Motorisierung. Auf 1?000 Chinesen kommen knapp 70 Autos. Gleichzeitig liegt das Pro-Kopf-Einkommen in China im Landesdurchschnitt deutlich unter der 5?000-Euro-Grenze. Setzt jetzt Wirtschaftswachstum ein, steigt also das Bruttoinlandsprodukt in China, so steigt auch das Pro-Kopf-Einkommen. Wenn das Pro-Kopf-Einkommen steigt, wandert der Kreis entlang der Kurve nach rechts. Nun steigt auch die Pkw-Dichte, denn höhere Einkommen ermöglichen mehr Autokäufe; der Pkw-Markt wächst. Dieser einfache Zusammenhang erlaubt eine Prognose, inwieweit die Pkw-Nachfrage weltweit steigen wird.
Zum besseren Verständnis vergleichen wir den Markt in China in einer groben Analyse mit den großen gesättigten Automärkten Nordamerika, Westeuropa und Japan. Zusammengenommen leben in diesen drei Regionen knapp 900 Millionen Menschen. Die Pkw-Dichte in diesen drei Regionen beträgt im Schnitt 615 Pkw pro 1?000 Einwohner. Diese Zahl bleibt weitgehend konstant, wie uns das Modell im Schaubild zeigt. Pro Jahr werden in diesen Regionen mehr als 35 Millionen Neuwagen verkauft. Hierbei handelt es sich überwiegend um sogenannten Ersatzbedarf, das heißt, alte Autos werden durch neue ersetzt. Wie groß ist angesichts dieser Rahmenbedingungen theoretisch das Potenzial des chinesischen Marktes? Geht man von einem anhaltenden Wirtschaftswachstum in China aus, bei dem die Pro-Kopf-Einkommen in etwa 30 Jahren auf dem gleichen Niveau wie in Westeuropa liegen, würde das nach unserem Modell bei 1,3 Milliarden Menschen einen jährlichen Neuwagenmarkt von mehr als 50 Millionen Autos bedeuten. Der Markt könnte sich also im Vergleich zum Stand von 2015 mit 20 Millionen Neuwagen noch einmal mehr als verdoppeln. Offensichtlich ist das Wachstum in China noch lange nicht zu Ende.
Insgesamt leben in den so genannten Schwellenländern rund 7,4 Milliarden Menschen, die Pkw-Dichte liegt bei 81 Pkw pro 1?000 Einwohner. Denken wir das Modell noch einen Schritt weiter: Würden diese 7,4 Milliarden Menschen das gleiche Motorisierungsmuster erreichen, wie wir es in Nordamerika, Westeuropa und Japan vorfinden, ergäbe sich ein theoretischer jährlicher Neuwagenverkauf von knapp 290 Millionen Pkw. Zusammen mit den 35 Millionen jährlichen Pkw-Verkäufen in den gesättigten Märkten Nordamerika, Westeuropa und Japan ergäbe dies ein Marktpotenzial von 325 Millionen jährlichen Autoverkäufen gegenüber tatsächlichen 78 Millionen verkauften Pkw weltweit im Jahr 2015. Nach unserer Potenzialrechnung könnte der Pkw-Weltmarkt also noch mehr als viermal so groß werden wie heute: eine enorme Entwicklung.
Selbstverständlich ist das eine rein theoretische Modellrechnung. Eine verlässliche Prognose müsste neben der Hochrechnung noch eine Reihe anderer Faktoren wie etwa Ressourcen, Demografie, die Einstellung zum Auto et cetera. berücksichtigen, um seriös zu sein. Dennoch kann man auf Grundlage dieser Rechnung mit Recht behaupten, dass der Automarkt weltweit noch lange nicht am Ende, sondern eher noch immer am Anfang seiner Entwicklung steht. Voraussetzung ist immer Wirtschaftswachstum wie etwa in USA oder Westeuropa.

Inhalt

Inhalt
Vorwort 9
1. Modelle, Märkte, Wettbewerber: Autoindustrie heute 13
Individuelle Mobilität: Warum werden Autos verkauft? 14
Schwellenländer: Wo werden heute und in Zukunft Autos verkauft? 17
Emotionen, SUV-Welle und noch mehr PS: Wie werden Autos verkauft? 22
Vielfalt, Flexibilität und Größe: Welche Faktoren sind noch entscheidend für erfolgreiches Autoverkaufen? 27
2. Risiken im heutigen Geschäftsmodell 35
Die Dacia-Revolution 36
Achillesferse Rückrufe und Unternehmenskultur 40
Dauerbaustelle Automobilvertrieb 51
Das Dilemma mit dem Diesel 62
3. Antriebsintelligenz: Autos ohne Abgase 71
Der Anfang vom Ende des Verbrennungsmotors 73
Härtere Verbrauchsvorschriften: Europa wacht (ein bisschen) auf 77
Das Brennstoffzellenauto: Zu teuer, um gut zu sein 81
Der Irrweg der Plug-in-Hybriden 84
Trugschluss arithmetisches Mittel 87
Das Tesla-Prinzip setzt sich durch 90
4. Autointelligenz: Das selbstfahrende Auto 97
Radikale Veränderer gegen die Helden der Hardware 98
Die Kundenwerte der künstlichen Intelligenz 101
Vision Zero und das Problem"Mensch" 105
Von passiver Sicherheit zur künstlichen Intelligenz 109
Radikale Veränderung: Das Google-Auto 116
Fährt bald nur noch der Computer? 119
5. Schwarmintelligenz: Autos nutzen statt besitzen 121
Sharing Economy: Nutzen ist das neue Haben 123
Fahr mit, nimm mit: Die unterschiedlichen Sharing-Modelle 130
Carsharing morgen: Das autonome Taxi 136
6. Gesellschaftliche Werte in der neuen Mobilitätswelt 141
Das Roboterauto und die Ethik 141
Ein rechtlicher Rahmen für das Roboterauto 145
Big Brother is driving you? 148
Hacking und Cybercrime: Die dunkle Seite der neuen Datenwelt 154
Sinnvoller Schutz vor Hacking: Sieben Erkenntnisse 158
Autohäuser, Werkstätten, Versicherer - Relikte aus der alten Welt vor dem Aus? 165
Wer"Autopilot" sagt, darf nicht"Beta" meinen 169
7. Zeitenwende für VW 173
Ein Weltkonzern im Provinzkorsett 174
Heilige Kühe im Konzern 179
Viele Köche, wenig Brei 183
Auf die falsche Spur gesetzt 186
Strenge Hierarchien und Fehlerkulturen 190
Kriegt VW die Kurve noch? 193
8. Regelbrecher Tesla 197
"Das Leben ist zu kurz, um Urlaub zu machen!" 197
Was will Elon Musk mit Tesla? 201
Die Probleme beim Schnellstarter Tesla 203
Das Tesla-Modell - anders als 100 Jahre altes Marketing 207
Tesla und das vollautomatisierte Fahren 213
9. Revoluzzer und Verlierer 219
Google-Car: Die listenreiche Knutschkugel 219
Tesla und"Titan" 223
Chinesische Milliardäre und Staatsfirmen 228
Die rollende Shopping-Mall: Das Auto als Multifunktionsplattform 230
Gewinner und Verlierer aus der alten Welt 233
Abgehängt: Verlierer Deutsche Bahn 239
10. Bleibt Deutschland Autonation? 245
Deutschland im Jahr 2030 - Verlierer der Zeitenwende 245
Ein realistisches Szenario? 249
Deutschland muss schneller werden 252
Große Potenziale in der neuen Mobilitätswelt 261
Deutschland im Jahr 2030 - Meister der Zeitenwende 264
Literatur 269
Bildnachweise 273

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